Wenn Kleidungsstücke oder Kombinationen auf ihre vereinfachte, zweidimensionale Form reduziert werden, spricht man von Silhouetten. Die Namen der Silhouetten beziehen sich entweder auf die äußere Kontur der zweidimensionalen Form, oder die wichtigste, innere Linie, oder beides.
Von der äußeren Kontur der zweidimensionalen Form hat sich Christian Dior bei der Benennung der A- und der X-Silhouette inspirieren lassen.
Die Empire-Silhouette bezieht sich mit ihrem Namen auf die wichtigste, innere Linie, die Empire Naht.
Breit-Schmal- und Psi-Silhouette sind Bezeichnungen, die sich im Laufe meiner Typberatungspraxis ergeben haben. Ihre Namen beruhen auf zweidimensionaler Form und wichtigster innerer Linie gleichzeitig.
Theoretisch passt eine Silhouette zu dir, wenn die Kontur und die wichtigste innere Linie mit deinem Figurtyp harmonieren. Praktisch passt sie nicht immer, denn Figurprobleme und dein persönlicher Stil spielen auch noch eine Rolle.
Der „Haute Couture“, die Kleidersilhouetten für die Laufstege erschafft, geht es weniger um individuelle Körper. Die innovativen, überraschenden und einzigartigen Kreationen werden bevorzugt auf Idealfiguren präsentiert. Durch bewusste Vermischung von Silhouetten und Stilen generiert die Modewelt stets aufs Neue einen spektakulären Ideenpool.
Was von diesen Fashion-Highlights für dich genau das Richtige ist, kannst du anhand der Richtlinien, die ich dir in Passt prima! vermittle herausfinden. Aber jetzt klären wir zuerst, was hier im Blog und bei Passt prima! unter dem Begriff „Kleidersilhouette“ zu verstehen ist.
Denn, mit einer meistens unbewussten Vermischung von Kleidersilhouetten und Stilen hast du es auch beim Kleider kaufen und in deinem Kleiderschrank zu tun.
Drei Silhouetten frei interpretiert
New-Look: X- oder A-Silhouette?
Beginnen wir mit Christian Dior, Vertreter der französischen Haute Couture und Erfinder der Kleidersilhouette und der Modesaison. Halbjährlich lancierte er neue „Kleidungs-Linien“, deren regelmäßiger Silhouetten-Wechsel damals noch für ein klares „In“ oder „Out“ sorgte.
Die Blütenkelch-Linie machte im Frühjahr 1947 den Anfang, sie war so neu, dass sie von der Presse als New-Look (Bild 1) gefeiert wurde. Weitere Kleidungssilhouetten folgten, ihre Namen (A-, Y-, H-, Kuppel-Linie) finden noch heute Verwendung.
In Diors Blütenkelch-Linie könntest du der äußeren Form nach ein A oder ein X sehen. Nimmst du die Kreuzform und den markanten Kreuzungspunkt in der Taille als Erkennungszeichen, kommst du auf das X. Anhand von Kreuzform und Taillennaht kannst du die X-Silhouette dann auch auf andere Kleidungstücke übertragen.
Das grüne Kleid mit schmaler Taille und angesetztem Tellerrock (Bild 1) ist ein perfektes X, ganz im Sinne von Diors Blütenkelchlinie. Hier passt nicht nur die Form, auch stilistisch ist das Modell seinem historischen Vorbild sehr nah.
Dagegen entspricht die schmale Bluse kombiniert mit schwingendem Rock (Bild 2) dem X nur der Form nach. Ausschlaggebend sind die schmale Taille und der glockig weite Rocksaum. Der Stil, eine Mischung aus College und Casual hat mit der urspünglichen X-Silhouette nichts zu tun.
Mit dem, in der Taille gebundenen, Wickelkleid (Bild 3) hat Diane von Fürstenberg in den 70ern einen weiteren X-Silhouetten-Klassiker geschaffen. Die Kreuzform wird bei diesem sehr femininen Kleid zusätzlich durch den V-Ausschnitt unterstrichen.
Die Roaring Twenties und die H-Silhouette
Anfang des 20 Jahrhunderts brachten selbstbewusste Frauen in den Metropolen diese, damals revolutionär neue Silhouette hervor. Sie hielt schnell Einzug in Freizeit-, Alltags- und Bürokleidung. Bis heute repräsentiert die H-Silhouette vor allem in Gestalt des Charlstenkleides eine ganze Modeepoche.
Frauen wollten so aussehen, als ob sie sich frei bewegen könnten und unabhängig wären. Die androgyn gerade Linie, mit möglichst wenig Busen und einer auf die Hüfte gerutschten Taille, sollten das zum Ausdruck bringen.
Das neue Outfit war von üppiger Stofffülle befreit und floss schnurgerade von den Schultern herab. Die rechteckige Form und die horizontale Betonung unterhalb der Taille lassen sich mit etwas Phantasie zum „H“ abstrahieren.
Frei interpretiert entsteht die H-Silhouette aus jedem, gerade geschnittenen Kleid mit horizontaler Naht im Hüftbereich (Bild 4).
Auch, wenn im Hüftbereich ein gerader Pulli auf einen geraden Rock trifft (Bild 5) entsteht die horizontale Teilungslinie und damit der kastige Gesamteindruck, der die H-Silhouette kennzeichnet.
Ein auf der Hüfte sitzender Gürtel (Bild 6) zieht den Oberkörper optisch in die Länge. Zusammen mit dem schmalen Shirt und dem geraden, aber lose fallenden Rock ergibt das ein H.
Der transparente Rock könnte auch als eine stilistische Anspielung auf das Charlstonkleid interpretiert werden. Mit diesem taillenlosen Hängerkleid haben sich die Flapper-Ladys der Roaring Twenties reihenweise in das allabendliche Tanzvergnügen gestürzt.
Vom Postatomic-Look zur O-Silhouette
Anfang der 80er Jahre, seit eine experimentierfreudige, von japanischen Designerinnen und Designern geprägte Avantgarde in der Mode mitmischt, kommt es zu einem neuen Kleidungsverständnis.
Rei Kawakubo (comme des garҫons), hat sich „Der Schönheit des Unperfekten und Vergänglichen“ verschrieben. Ihr Postatomic – und Postapokalyptischer Look löst 1982 in Paris Sprachlosigkeit und Begeisterung gleichzeitig aus.
Heute gehören ihre höchst unkonventionellen, weitgehend von europäischen Kleidertraditionen befreiten Entwürfe mit zum Kanon deiner modischen Möglichkeiten.
Die O-Silhouette reicht in ihrer Bandbreite von einem ballonförmigen Rock über ein, deine Figur in runden Formen umschließendes Etwas (Bild 7), bis hin zur völlig aufgelösten Kleiderform (Bild 9).
Der zerfetzte, durchlöcherte Pulli (Bild 8) ist ein Stilzitat des Postatomic-Looks. Anheimelnd und kuschelig weich aus hellem Mohair wäre er eine Anleihe aus der verhüllenden Oversized-Mode der 80er.
Du merkst schon, Kleidersilhouetten sind in verschiedene Richtungen interpretierbar.
Vielleicht ist dir das jetzt ein bisschen zu viel, aber du wirst sehen, später bei Passt prima!, wenn es darum geht, Silhouetten nach Figurtyp und Stil zu sortieren, hilft dir der weit gefasste Begriff der „Kleidersilhouette“ selber kreativ zu werden.